Blick auf eine Steinbrücke über ein Flüsschen in einer Altstadt. Nur wenige Lichter, die sich im Wasser spiegeln. Gebäude sind kaum zu erkennen.

Nacht

1

Ich schalte das Licht ein, doch die Birne glüht nur erst orange, dann rot und verlischt dann. Ist etwas mit dem Strom? Im letzten Licht taste ich nach einer Kerze und Streichhölzern. Ratsch, das Streichholz flammt auf, ich halte es an den Docht, der Feuer fängt. Erleichtert blicke ich in die Kerzenflamme und blase das Streichholz aus. Ich wende mich kurz um, sehe meinen Schatten an der Wand und bemerke, dass das Zimmer dunkler wird. Die Flamme ist gerade noch so groß wie mein kleiner Fingernagel und wird zusehends kleiner. Der Docht muss nass geworden sein. Zum Glück ist da noch ein Teelicht. Ich fingere nach den Streichhölzern; das erste bricht, das zweite auch, das dritte will nicht angehen. Erst als die Kerze mit einem fast unhörbaren “Popp” verlischt, gelingt es mir, eines zu entzünden, doch weder Kerze noch Teelicht wollen brennen. Ich brenne ein Hölzchen nach dem anderen ab, da bemerke ich durch die geschlossenen Vorhänge den Lichtschein. Natürlich, die Straßenbeleuchtung! Rasch ziehe ich die Vorhänge auf. Das sanfte Licht der Gaslaternen schmeichelt meiner Straße, die schmutzigen Autos glänzen und die kahlen Bäume im Winternebel wirken nicht wie Gerippe sondern wie Strichzeichnungen auf Papier. Ich öffne die Fenster, erst das innere, dann das äußere mit den Eisblumen am Rand. Ich atme tief ein, es riecht nach Schnee, denke ich, aber es ist nur der Geruch der wenigen verbliebenen Kohlenöfen. Manchmal sieht man sie noch, die drahtigen kleinen Männer mit den Brikettkästen auf dem Rücken, gehalten von breiten Stirnbändern, wie sie in die Keller der Mietshäuser hinabsteigen.

Zwei Jungen in dicken Jacken und Pudelmützen kommen den Gehweg entlang. Sie lachen und schubsen sich gegenseitig. Einer tritt mit Wucht gegen die Laterne vor unserem Haus. Sie flackert kurz und verlischt. Ich will rufen “Was macht ihr da?”, bringe aber keinen Laut hinaus. Mir ist kalt und ich habe Angst. Ich gehe zurück ins Zimmer, versuche mein Glück mit dem Lichtschalter. Fast höhnisch geht das Licht kurz an um gleich wieder zu verlöschen. Immer wieder betätige ich den Schalter, doch es geschieht nichts. Streichhölzer habe ich nur noch eins.

Mit unendlicher Vorsicht zünde ich es an, doch kaum ist der Kopf angebrannt, ist da nur noch grauer Rauch, der sich nach oben kräuselt. Noch kommt Licht von draußen herein, also wieder zum Fenster, aber auch die Straßenlaternen haben an Kraft verloren: Bei denen, die noch an sind, glimmen die Glühstrümpfe müde vor sich hin. Es schüttelt mich und ich beginne zu weinen. Ich weiß, ich kann der klebrigen Dunkelheit nicht mehr entrinnen.

Ich erwache mit feuchten Augen und zusammen gebissenen Zähnen. Mein Zimmer ist wieder mein Zimmer. Kurz teste ich meine Nachttischlampe. Alles in Ordnung. Zur Sicherheit suche ich meine Taschenlampe. Gut, die Batterien sind noch nicht alle. Ich stelle sie auf den Nachttisch obwohl ich genau weiß, dass es nicht nötig ist.

2

Immer wieder habe ich diesen Traum. Er passt sich an, er verändert sich. Mal sitze ich vor dem Fernseher, später in meiner eigenen Wohnung oder im Auto. In hartnäckigen Fällen träume ich das Erwachen erst nur, um im Schlafzimmer erneut meiner Angst gegenüber zu stehen. Mit den Jahren verblasst der Schrecken, denn stets endet der Alptraum, bevor alles völlig schwarz wird. Ich lerne, ihn zu begrüßen wie einen alten Bekannten. Manchmal bleibe ich entspannt, weigere mich, überhaupt den Versuch zu machen, das Licht am Leben zu erhalten. Dann erwache ich mit dem Gefühl, betrogen zu haben, dass ich das vorzeitige Ende nicht verdient habe und er bestraft mich durch Fernbleiben, manchmal für ein oder zwei Jahre. Erwache ich dann wieder einmal voller Angst, weiß ich, ich habe diemal das Richtige getan. Ich lächle und schlafe beruhigt wieder ein. Ab und an frage ich mich, was wohle geschähe, wenn das Licht einmal ganz verschwände.

Mein Leben ist hektisch geworden und nächtliche Träume sind mehr eine ferne Erinnerung denn ein Teil des Lebens. Ich bin erschöpft, liege im Bett und schon im Halbschlaf spüre ich, dass heute ein Besuch des Traumes ansteht. Ich lasse es nicht zu, denn heute packt mich die wohlbekannte Furcht schon vor dem Einschlafen. Ich richte mich auf im Bett, nehme mir ein Buch und lese, bis die Worte aufhören, einen Sinn zu ergeben. Für Sekunden lasse ich mich gehen und ich spüre wie das Licht verlöscht. Gerade noch rechtzeitig reiße ich mich zusammen. Natürlich ist es hell im Zimmer. Zeit für einen Kaffee, schwarz und dick wie Erdöl, und Fernsehen. Zum Lesen fehlt mir die Energie. Immer wieder schrecke ich hoch, weil mir der Kopf zur Seite fällt. Wie soll ich in zwei Stunden zur Arbeit gehen? Ich gehe duschen und setze mich danach im Bademantel in die Küche. Ich sage mir immer wieder, meine Angst sei unsinnig. Ein wenig glaube ich mir selbst, ein wenig fürchte ich mich, zu irren.

Nur für eine Sekunde schließe ich die Augenlider und öffne sie wieder.

Da ist nur Schwarz


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