Dies sind die Minigeschichten, die ich unter dem Hashtag #GruselKurzgeschichte im Fediversum veröffentlicht habe.
Bei Mastodon stehen standardmäßig 500 Zeichen pro Beitrag zur Verfügung. Abzüglich des Hashtags und zweier Leerzeilen bleiben 477 Zeichen übrig. Das ist ein strenges Korsett und es ist eine echte Herausforderung, so kurze Geschichten zu schreiben.
Natürlich ist das ein Mitmach-Hashtag. Das heißt, ihr alle könnt gerne eure eigenen Geschichten unter ihm publizieren. Er stammt auch nicht von mir, sondern von @holger.
Ich hoffe, ein paar der Geschichten gefallen euch. Lob und Kritik sind immer willkommen.
Wildfang
Sie war nicht wie die übrigen Mädchen. Wenn jene in der Stube saßen, stickten und mit verschämten Kichern von den Jungen schwärmten, lief Rumja barfuß in den Wald und sammelte dort allerlei Gewürm.
Dieses fütterte sie heimlich dem Nachbarsbalg, ein wenig mit Gewalt, denn wohl schmeckten ihm die Tiere nicht.
Welch Spaß, als heimlich sie den Schreck der Mutter sah, wie Würmer aus des Kindes Munde krochen.
Der Pfaff beschied, es wär verhext und so ward es denn ersoffen.
Tatfolge 1
“Tatfolge” sind zwei Geschichten. Jede steht für sich, doch eine folgt auf die andere.
Im Grunde war es kaum ihre Schuld.
Ein Zusammenprall am Rande des Marktes. Ach, ohne die Anmut seiner Wimpern hätte Parvi den Mann gewiss beiseite gestoßen, bevor er seine sanften Lippen auf die ihren drückte und sie für den Moment dahinschmelzen ließ, bis Anush sie losriss.
Parvis Liederlichkeit musste gestraft werden, wie es sich ziemte.
Anush weinte etwas, als er den letzten Stein in die Mauer vor seines Weibes Tür setzte.
Nach 2 Tagen verstummte auch ihr Klagen.
Tatfolge 2
Anush ward nie mehr derselbe.
Auf Drängen seiner Eltern hatte er sein lüsternes Weib für ihre Schwäche bestraft, wie es die Tradition befahl und sie eingemauert in ihrem Gemach.
Ihn reute seine Tat, doch schlimmer waren die Träume, in denen Parvi ihn heimsuchte. Ihr kalter Atem ließ seine Haut gefrieren, jeden Tag mehr, bis zu jenem, an dem sie völlig erstarrte.
Verzweifelt gefangen im eigenen, versteinerten Körper harrte er seiner Stunde, noch fast einen Monat lang.
Karma
Viel zu viel Schnaps, an diesem Abend. Der Fahrer bugsierte ihn auf den Rücksitz des Bentley, wo Horst schnell einschlief.
Als er völlig nackt erwachte, schmerzten ihm Knie und Rücken. Es stank nach Kot. Er schrie. Der Käfig war zu eng zum Stehen, zum Liegen oder Sitzen.
Ein Mann trat in den Raum. Völlig ungerührt schüttete er Kraftfutter in den Trog und ging.
Geschlachtet haben die Tierrechtler den Wurstfabrikanten allerdings nie. Er lebte noch 2 Jahre im Stall.
Unter dem Berge
Mit Magie, Feuer und Schwert hatten die Druiden den Lindwurm bezwungen, ihn in den Berg zurückgetrieben und seine Zuflucht sicher versiegelt.
Die Jahrhunderte vergingen und die Wut des Wurmes wuchs unermesslich.
Als das Stahlmonster der Tunnelbohrmaschine seine Höhle sprengte, erkannte er eine verwandte Seele und verband seine Kraft mit ihrer.
Nie war ein Tunnel so schnell fertiggestellt.
Die Menschen im ersten Zug verschlang der Lindwurm jedoch nach der harten Arbeit.
Brandenburg
Die Straße nahm kein Ende. Wo war er? Im Dunkeln falsch abgebogen, kein Netz und auch kein GPS. Fast hätte er die Straßensperre übersehen. Langsam kam jemand aus dem Dunkel: Gewiss wusste er den Weg nach Potsdam. “Nanu” dachte er, als er die Uniform sah. NVA?! Was sollte das?
Eine Makarow schob sich durchs Autofenster.
“Jenosse Major” bellte der Mann “Noch’n Westspion! Gleich ins Loch?” “Klar, Soldat” rief es zurück.
Kurt Löber samt Kfz verschwand am 23. 9. 24 für immer.
Die Wendenesche
Knorrig ragte die dicke Orta aus dem Ginsterdickicht. Von jeher hatte sich Jan zu der alten Eiche hingezogen gefühlt. Jetzt, mit 11, war er groß genug, in ihre Äste zu steigen.
Wie klein das Dorf von hier oben schien! Ein Knarren des Holzes erschreckte ihn. Schnell hinunter! Doch anstatt den Stamm hinab ging es in ihn hinein, durch den Spalt, der sich geöffnet und geschwind geschlossen hatte.
Gierig war sie nicht, die alte Orta: 2-3 Kinder im Jahrhundert waren ihr genug.
Fleisch
Aus vollem Halse schrie Andi sich die Seele aus dem Leib. Vergebens, wie er selber wusste, denn durch die dicken Mauern würde kein Laut dringen.
Die Füße in der Schlaufe, die von der Decke hing, den Hals in der Kette, die ihn zu Boden zog, konnte er nur hilflos zusehen, wie sich der blitzende Stahl des Sägeblattes in Bewegung setzte.
Hätte er die Aufreißer-Tricks aus dem Kurs für Pickup-Artists doch nicht ausgerechnet an der jungen Frau des Metzgers ausprobiert!
Der Invunche
Schrecklich sind die Hexer der Insel Chiloé: Ein neugeborenes Kind, geraubt der Mutter, genährt mit Katzenmilch und Menschenfleisch, durch Marter entstellt, die Zung gespalten: Der Invunche ist ihr Talisman.
Ihn zu retten, voller Mut, steigt Ana in die Tiefe und zerrt ihn, der nie den Tag gesehen, hinan.
Kaum hinaus, erfasst sie Schmerz und Grauen, sie stürzt und sieht sich selbst von dannen ziehen.
Wer den Invunche aus der Höhle bringt, der tauscht mit ihm den Leib.
Dunkelheit
Hinein zum Fenster kriecht die Nacht, ihre klammen Finger suchen mich. Will weichen, rennen, doch meine Beine, sie gehorchen nicht.
Augen zu. Seh ich dich nicht, siehst du mich nicht. Nicht wahr?
Ach Herz, ich bitt dich, beruhig deinen Schlag.
Ich höre dich, fühle ich ein Raunen kalt, schlaf ruhig ein.
Nein! Nein! So will ich schreien, vergebens, Mund und Augen sind versiegelt.
Als Schlaf in meinen Leib sich schleicht, weiß ich: Es wird keinen Morgen geben.
Darkness
English version of the previous story
The night comes creeping into my window, her cold fingers stretched towards me, as I try to run away.
Alas, my feet, just won’t obey. I close my eyes – if I don’t see you, you don’t see me, right?
Poor heart of mine! Won’t you stop racing?
I hear you, I sense a frosty whisper, just go to sleep
No! no! I want to scream, in vain, as mouth and eyes stay shut against my will.
As finally I feel sleep climbing up my limbs into my soul, I know, the morrow, it won’t come for me.
Kribbel Krabbel
Es war kein Stich und auch nicht einfach trockene Haut. Das Jucken kam von innen.
Der Minenkäfer musste vor Wochen tausende seiner winzigen Eier in meinen Bronchien in die Blutgefäße injiziert haben. Überall im Leib hatten sie sich festgesetzt, die Larven waren nun geschlüpft und suchten ihren Weg nach draußen, brachen in Massen durch Fleisch und Haut.
Mit Glück habe ich noch eine Woche.
Mit offenem Mund und ohne Maske Rad zu fahren, war keine gute Idee gewesen.
Kuckuck
Ich stehe vor dem Spiegel und schminke die Lippen. Mein Spiegelbild blinzelt mir freundlich zu und ich erstarre.
Mein Gesicht nähert sich dem Glas, die Augen weit aufgerissen. Wieder blinzelt es und ungläubig trete ich einen Schritt zurück.
Spiegel-Mina legt ihre Handfläche auf das Glas. Zögerlich tue ich dasselbe. Im nächsten Moment sehe ich das Zimmer vom Spiegel aus.
Die andere hebt ihre Hand, lacht kurz höhnisch, geht und lässt mich hilflos im Spiegel zurück.
Stütze der Gemeinschaft
“Jeden Tag eine gute Tat” – dachte Elisabeth – “ein wohnungssuchender Student weniger”, als sie sorgfältig ihre Fangzähne reinigte und zufrieden auf den nun sehr bleichen Körper des jungen Mannes zu ihren Füßen blickte.
In der Hand hielt er noch den Zettel, den sie ans schwarze Brett der Uni geheftet hatte:
“Nette Studentin sucht Mitbewohner*in. Besichtigung leider nur nach 20:00 Uhr”
Manchmal kommt es anders
Als Erwachsener hatte er manchmal über seine Kindheitsängste vor Dingen und Situationen, denen man letztlich niemals begegnet, geschmunzelt.
Wie hatte er sich doch in seiner Kindheit vor Treibsand, Killerbienen, schwarzen Mambas und Zombies gefürchtet!
Lebendig begraben werden gehörte dann doch nicht auf die Liste, wie Jürgen mit Erschrecken feststellen musste, als er hörte, wie die schweren Erdbrocken auf seinen Sargdeckel zu prasseln begannen.
Mama
Die letzten Tage waren hart gewesen:
Vorräte aufgebraucht und kaum etwas Nahrhaftes zu finden, dazu noch die Kinder, die dauernd nach Milch verlangten.
Sie schob sich dicht an der Wand entlang, vorsichtig, stets auf der Hut vor plötzlichen Angriffen, als ihr plötzlich ein süßer, nussiger Duft in die Nase stieg.
Behutsam suchte sie die Richtung.
Hier musste es sein!
Ein metallisches Klicken hörte sie noch, bevor der Drahtbügel der Falle das Genick der Maus traf.
Das Meisterwerk
Ein Kreis ist rund, eine Ecke hat 90°.
Nicht so bei Star-Architekt Dr. Möbius: Die Geometrie seiner Bauten forderten Augen und Verstand.
Das neue Museum in Dubai, das den Gegensatz von Außen und Innen aufzuheben schien, war sein Meisterstück, doch der gequälte dreidimensionale Raum zersprang an einer Stelle und öffnete einen Spalt zum fernen Kosmos. Erst langsam und dann mit Macht strömte Luft ins Vakuum, bis die Erde zu einem leblosen Steinbrocken im All geworden war.
Brigadier Kabuschke
Das Vieh hörte ihn nicht. Kein wunder beim Krach des Zementmischers.
Seelenruhig saß die Katze auf dem Grund der Baugrube. Er seufzte irritiert, begann die Leiter hinabzusteigen und rief “Weg da!” und als die Mieze sich zu bewegen begann, noch “Na los!”
“Los” war das Wort, auf das Lehmann gewartet hatte und das einzige, das an sein Ohr drang. Er zog am Hebel und 14 Tonnen Zement ergossen sich in die Grube.
Erwin Kabuschke wird seit dem 2. September 1974 vermisst.
Kommt Zeit, kommt Rat
Dass er die Magd geschwängert hatte, scherte Bauer Borstes Frau wenig, nur die Schande. Was blieb ihm da, als die Dirne in einen Sack mit Steinen zu stecken und zum Wasser zu bringen wie die Katzenjungen?
Ihre Rache fand Käthe erst 80 Jahre später an Bortes unwissendem Enkel, den sie beim Training für den Triathlon just über ihrem nassen Grab im See erwischte und zu sich in die Tiefe zog.
Grausamkeit ist nicht allein den Menschen vorbehalten. Auch Geister können sie üben.
Krimskrams
Ich habe es immer schon geliebt, im Trödel zu kramen.
“Prima” dachte ich also, als meine Nachbarin mich bat, ihren Keller auszuräumen.
Ich übersehe fast die kleine Holzdose am Boden der Kiste. Ich greife und öffne sie. Ein kalter Luftstrom strömt hinaus, immer stärker. Wie das? Ich muss nach oben, ins Tageslicht.
Draußen ist etwas geschehen. Es stürmt, Menschen schreien, Sirenen heulen.
Fast vergessen, die Dose, doch mein Blick fällt auf den Deckel. Da steht:
“Pandora”
Zurückbleiben, bitte!
Im Jahre 1931 verschwand der U-Bahn-Zug 401 spurlos im Tunnelgeflecht nahe dem Wittenbergplatz. Alle Suche blieb vergebens, nur Gleisarbeiter berichteten über die Jahrzehnte immer wieder von Irrlichtern und Klopfen in der Tiefe der Tunnel nahe dem Bahnhof.
Fast 100 Jahre später fand man bei Bauarbeiten ein zugemauertes vergessenes Ausweichgleis. Die verzerrten Gesichter der in trockenen Luft mumifizierten Körper an Bord des Zuges sprachen von unnennbarem erlebtem Grauen.
Ammenmärchen
Auf dem Weg in die Arme ihres Peters gedachte Ute kurz der Muhme Worte “Hüte dich vor dem alten Kirchhof. Dort lauert der üble Aufhocker. Eh du dich’s versiehst, springt er dir auf den Rücken und lässt dich nicht fahren bis du einen hässlichen Buckel hast wie die alte Annie”.
“Närrische Alte!” lachte Ute und küsste den Geliebten an des Kirchhofs Pforte.
Am Ende nahm sie doch Holger zum Manne, denn den hässlichen Buckel-Peter, zu dem er bald ward, mochte sie nicht mehr.
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